Der Ochsenweidler
Es wunderte mich gar nicht, dass die Stelle einen Namen hat. Dieses deftige Stück Strässchen, das auf kleinstem Raum eine ganze Batterie Höhenlinien unter sich begräbt, hatte mich schon immer fasziniert. Aus gutem Grund habe ich es mir gar nie angeschaut. Da kommt kein Mensch hoch, habe ich mir gedacht, FLYER hin oder her.
Erst viel später, als alle Exkursionen durch die Talflanken der Blaseflue in unbefriedigenden Wegführungen endeten, näherte ich mich dieser ominösen Stelle wieder an. Mein Velo überschlug sich fast beim Anblick dieser Steigung. So etwas sollte verboten sein, schnellte es mir durch den Kopf, kombiniert mit dem Bild von berstenden Ketten, kollabierenden Ritzeln und abgebrochenen Lenkerenden, die man verdutzt in den Händen hält, bevor die Fahrt rückwärts, in schnell ansteigendem Tempo zum Inferno verkommt.
Von alledem passierte gar nichts, aus dem einfachen Grund, dass ich mein Velo den «Ochsenweidler» empor schob. So nennt sich diese Eigernordwand des Velotourismus, die stark an eine Abfahrtspiste in Garmisch-Partenkirchen erinnert, auch ohne Schnee. Oben angekommen, im «Hargarten», klaffte mein Kiefer aus zwei Gründen nach unten: a) die Sicht (auf die echte Eiger-Nordwand), b) die Anstrengung.
Bald wurde mir klar: «Der Ochsenweidler» ist ein pures Stück Herausforderung. Das steilste Stück im Veloland Schweiz. Mindestens 25%, wahrscheinlich 99%. Und nichts für Weicheier. Mehr und mehr keimte in mir die Gewissheit: Das ist ein Stück Herzroute. Das härteste Stück Herzroute überhaupt. Wenig später, unter Ausschluss von Zeugen, testete ich einen FLYER an dieser Stelle: 1. Gang, «High Assist», Vollgas. Und dann breites Grinsen. Man kommt hoch. Ohne würgen. Er ist eben kein Weichei, dieser FLYER.