Die Herzroute, eine gelebte Utopie

Es gibt sie also immer noch, die Herzroute. So klar war das nicht immer. Eigentlich hätte sie gar nicht entstehen können, damals, 2003. Das Geld für die Signalisation fehlte und der gewählte Weg über Bodenmarkierungen war illegal und kulturell verwerflich. Zudem passte sie nicht ins eben entstandene Netz der regionalen und nationalen Routen: zu kurvig, zu hügelig, zu eigenwillig.

Inzwischen hat sie eine Menge Herzen erobert, und ein Haufen Leute haben geholfen, sie so lebendig wie noch nie zumachen. Was für ein wundervoller Erfolg! Dabei ist die Schweiz kein einfaches Stück Land für eine Veloroute. Das von der Herzroute episch besungene Idyll von der Urlandschaft und den putzigen Dörfern und Bauernhöfen ist eigentlich eine grobe Übertreibung. So schön ist die Schweiz natürlich nicht.

Mit schelmischer Geschicktheit umfährt die Herzroute alle Autobahnkreuze, Atomkraftwerke und Sozialsiedlungen. –Ist das zulässig? Muss man nicht auch sagen, dass dieses Land einen unglaublichen Hang zur Banalität, zur Egalisierung seiner kulturellen Eigenheiten und zur Preisgabe seiner gewachsenen Werte hat? Mit gleichem Recht könnte man eine zivilisatorische Ernüchterungsroute durch alle Einfamilienhaussiedlungen und Gewerbegebiete des Mittellandes machen.

Die Herzroute ist vielleicht beides. Sie zeigt nur das eine, aber sie meint beides. Sie ist ein Plädoyer für eine massvollere Lebensweise, für eine Reduktion des Landverschleisses und eine Eindämmung der alles verdrängenden Autokultur. Sie ist bewusst keine Kampfroute, sondern ein filigranes Gebilde. Damit, so hoffen wir, entsteht frischer Mut für eine zärtliche Lebensweise.